In einer Zeit, in der Effizienz und Leistungsfähigkeit das Maß aller Dinge geworden sind, gerät etwas Wesentliches zunehmend in den Hintergrund: das Spüren. Chronische Überforderung ist längst kein Ausnahmezustand mehr – sie ist zur Norm geworden. Auch im Gesundheitswesen. In der Physiotherapie etwa steigt der Druck, Übungen exakt auszuführen, während die zur Verfügung stehende Zeit knapper wird. Berührung wird seltener. Und der Körper? Wird oft nur noch als funktionierende Maschine betrachtet, die „wieder laufen muss“.
Doch was wäre, wenn es nicht darum ginge, dem Körper noch mehr abzuverlangen – sondern ihm wieder näher zu kommen?
Als Osteopathin, Tanztherapeutin und Physiotherapeutin erlebe ich täglich, wie wohltuend und heilsam es ist, dem Körper mit Neugier statt mit Kritik zu begegnen. In der Tanztherapie erforschen wir den Körper nicht, um ihn zu verbessern – sondern um ihn wieder zu bewohnen. Wir gehen den Fragen nach: Was spüre ich gerade? Wo bin ich präsent? Was bewegt mich?
Denn: Der Körper weiß mehr, als wir denken. Und er erinnert sich – auch an das, was lange nicht gespürt wurde. Bewegung, die nicht aus Zwang, sondern aus echtem inneren Impuls entsteht, kann alte Spannungen lösen und neue Verbindungen schaffen – zu uns selbst, zu unseren Organen, unseren Emotionen, zu unserer Geschichte.
Gerade nach langer Inaktivität kann Bewegung zunächst wehtun. Doch mit wachsendem Vertrauen wird aus Schmerz oft Spiel. Aus Misstrauen entsteht Beziehung. Wenn wir beginnen, unsere Organe zu spüren, uns mit ihnen zu bewegen, sie vielleicht sogar in ihrer embryologischen Entstehung zu begreifen, dann öffnen sich tiefe Ebenen des Körperbewusstseins – und damit neue Zugänge zu Heilung und Lebendigkeit.
Tanztherapie ist keine Kür, sondern eine Einladung: zum Innehalten, Spüren und Staunen. Sie ist ein Gegenpol zur Beschleunigung – und vielleicht genau das, was viele von uns jetzt brauchen.